Das Landgericht Bielefeld hat in einem von der Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht Frau Dr. Iris Ober geführten Verfahren der Klage eines 68 Jahre alten Rentners aus Herford auf Zahlung von Schadensersatz Zug um Zug gegen Übertragung der ihm von der Targobank AG & Co. KG aA damals zum Kauf empfohlenen Zertifikate stattgegeben (Landgericht Bielefeld, Urt. vom 26.1.12, Az. 5 O 258/09). Bei den Zertifikaten handelte es sich um eine offensive und eine defensive Variante der damals noch von der Citibank International plc. emittierten Zertifikate und um Zertifikate der mittlerweile insolventen amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers.

Das Urteil des Landgerichts Bielefeld ist insbesondere darauf gestützt, dass der Kläger, der vor seiner Frühverrentung den Beruf des LKW-Fahrers ausübte, entgegen den Anforderungen der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht anleger- und objektgerecht von den Beratern der Targobank beraten worden ist. Das Gericht hat bereits darin eine Beratungspflichtverletzung der Targobank gesehen, dass deren Berater trotz der offen zutage getretenen Unerfahrenheit des Klägers diesen nach seinen Kenntnissen nicht ausreichend befragt haben. In den Urteilsgründen heißt es dazu ausdrücklich, dass der Berater der Bank sich aufgrund der Mitteilung des Anlegers, vor der Verrentung als LKW-Fahrer tätig gewesen zu sein, dem besonderen Beratungsbedarf und dem besonderen Erfordernis, den Kenntnisstand des Klägers betreffend der Wertpapiergeschäfte zu ermitteln, nicht hätte verschließen dürfen.

Besonders erfreulich ist, dass das Landgericht Bielefeld auch die von der Bank bei der Beratung verwendeten Kundenfragebögen, die sog. Risikoprofile, einer kritischen Prüfung unterzieht. Es kritisiert dabei die von dem Formular vorgegebene Befragung des Kunden nach seinen Kenntnissen und Erfahrungen mit verschiedenen Wertpapierrisikoklassen, denen im Formular jeweils unterschiedliche Wertpapiere zugeordnet sind. Die zeugenschaftliche Vernehmung der Berater durch das Gericht hat ergeben, dass die Wertpapierrisikoklassen angekreuzt und damit angebliche Kenntnisse und Erfahrungen des Kunden dokumentiert wurden, wenn diesem nur eines der dort aufgezählten Wertpapiere bekannt war. Das Landgericht Bielefeld hat weiter kritisiert, dass die Angabe eines Anlegers, Kenntnisse zu bestimmten Wertpapieren zu haben, nicht gleichzeitig bedeutet, dass der Anleger die Funktion verstanden und von den Risiken des Wertpapiers Kenntnis hat.

Das Landgericht Bielefeld hat die angenommene Beratungspflichtverletzung auch damit begründet, dass Widersprüche zur Risikoeinstellung des Klägers, die sich nach den im Risikoprofil dokumentierten Angaben des Klägers ergaben, vom Berater ignoriert und nicht aufgeklärt wurden.

Letztlich sieht das Landgericht eine fehlerhafte Beratung auch darin, dass der Kläger nach dem Risikoprofil angegeben hatte, dass er eher der Aussage zustimme, dass es ihn stark belasten würde, wenn er einen Teil seines Vermögens verlieren würde. Trotz dieser Angabe des Klägers sind ihm die Zertifikate empfohlen und verkauft worden, obwohl bei diesen auch ein Totalverlustrisiko bestand. Das Gericht hat weiter festgestellt, dass der Kläger auch über das Totalverlustrisiko bei den Wertpapieren nicht aufgeklärt worden ist.

Bei der Beweisaufnahme zeigte sich, dass die Anlageberater der Bank jeweils keine genauen Erinnerungen an die konkreten Beratungsgespräche hatten. Sie konnten nur erklären, wie Beratungen von ihnen generell vorgenommen würden. Dies befand das Gericht als nicht ausreichend und sah die Aussage der Berater insoweit als unergiebig an.

Das vorliegende Urteil des Landgerichts Bielefeld gehört zu den wenigen Entscheidungen, in denen Gerichte die von der Bank verwendeten Risikoprofil-Fragebögen einer eingehenden Prüfung unterzogen und dann auch darin angelegte Ungenauigkeiten und Widersprüchlichkeiten festgestellt haben, so dass trotz entsprechender Eintragungen in den Dokumentationen eine entsprechende Beratung des Anlegers von den Gerichten nicht angenommen wurde.

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